Die ältere Dame, die im Behandlungszimmer sitzt, wirkt sehr aufgeregt und verängstigt. Ihr bekannte Herzkrankheit, die sie normalerweise gut im Griff hat, hat sich in den letzten Tagen sehr verschlechtert.
Heute wurde sie in die Notaufnahme gebracht, weil ihre Beschwerden zu stark waren. Es stehen nun einige Untersuchungen und Behandlungen an.
Während sie auf der Liege sitzt und mich aus großen Augen ansieht, zeigen ihre stockende Worte, dass es nicht ausschließlich um ihre Symptome geht. Sie berichtet von kürzlich erlebten Situationen, in denen Freunde gestorben sind. Einfach so, ohne dass es abzusehen war.
Als sie fertig ist, sehe ich, dass sie eine Antwort von mir erwartet. Von mir, einer Person, die soviel jünger als sie ist. Leise und behutsam sage ich ihr, dass es wichtig ist für jeden, ob Erwachsener oder Kind, bereit zu sein, aus dem Leben zu gehen. Es ist wichtig, seine Angelegenheiten zu jeder Zeit geordnet zu haben. In einem weiteren Satz merke ich an, dass wir nie wissen, wann wir den letzten Atemzug machen und vor dem Schöpfer des Lebens stehen.
Ich merke, dass die Frau abwehrend reagiert und beschließe, das Gespräch von meiner Seite zu beenden und lenke die Aufmerksamkeit auf die bevorstehende Untersuchung. Dankbar ergreift die Patientin den Rettungsanker und ich spüre: sie kann sich im Moment nicht auf die Situation einlassen, auch wenn sie innerlich große Angst verspürt.
Wechsel. Anderer Ort, anderer Patient, anderer Fall.
Die Patientin, die vor mir auf der Liege liegt, krümmt sich vor Schmerzen. Jeder kann sofort sehen, dass es ihr nicht gut geht und sie dringend Hilfe benötigt. Angstvoll umklammert sie meine Hand und möchte, dass ich die ganze Zeit dableibe. Drehe ich mich von ihr weg, fleht sie mich an, sie anzuschauen.
Sie hat bereits etwas gegen die Schmerzen erhalten, aber es bringt nicht viel. Plötzlich schaut sie mich an: „Ich will sterben. Ich will nicht mehr. Ich kann nicht mehr.“ Noch bevor sie die Worte ausgesprochen hatte, wusste ich, dass sie nicht mehr lange leben wird. Ihre tödliche Grundkrankheit wird ihren Tribut fordern. Was sage ich ihr? Welche Antwort gebe ich auf ihre flehende, nicht ausgesprochene Frage.
Während ich ihre Hand festhalte und ihr in die Augen schaue, sage ich leise: „Nach dem Tod beginnt ein anderes Leben und wir können uns schon hier auf der Erde darauf vorbereiten. Worauf es ankommt, ist Frieden zu haben.“ Doch noch während ich rede, spüre ich, dass sie meinen Worten nicht zugänglich ist, dass sie diese Worte nicht aufnehmen kann. Es bleibt mir nichts übrig, als still neben ihr zu sitzen, ihre Hand zu halten und zu beten.
Wechsel. Anderer Ort, anderer Patient, anderer Fall.
Der Patient liegt ruhig im Bett. Nichts deutet darauf hin, dass er mich hört oder versteht. Sacht ziehe ich die Decke zur Seite und erkläre jeden Schritt, auch wenn er vielleicht gar nichts hört. Ich lege ihm einen venösen Zugang und während ich die Flüssigkeit langsam in die Vene hineintropfen sehe, gehen meine Gedanken auf Wanderung. Wer ist der Mann? Wie hat er gelebt? Konnte er, bevor er hierher ins Krankenhaus kam, mit seiner Familie reden? Hatte er die Möglichkeit, langjährige Konflikte zu beenden? Kann er in Frieden gehen, wenn er stirbt?
Diese Fragen kann mir keiner beantworten.
Was lehrt uns dies alles? Im alltäglichen Leben wird uns die Präsenz des Todes nicht bewusst. Aber er ist da. Auch wenn wir ihn nicht sehen können, spiegelt jedes Leben die Vergänglichkeit des Seins wider.
In all den Situationen, in denen ich mit dem Tod und Sterben konfrontiert war, habe ich festgestellt, dass man in dieser Zeitspanne, in der das Leben endet, keine Entscheidungen treffen kann, die man nicht schon lange vorher entschieden hat.